"Die Pestumzüge
konnten nicht natürlich sein, aber warum sollte Gott uns so sehr strafen
wollen?"
So oder so ähnlich
dachten sicherlich viele Menschen der mittelalterlichen Gesellschaft. Europa
ward verheert, ganze Landstriche waren entvölkert, so manches Feld lag brach.
Selbst die Menschen der Stadt, denen es frei stand sich auch außerhalb der
Mauern zu bewegen, waren wie eingekerkert. Vor der Pest war niemand sicher,
diese Krankheit war dabei sogar recht demokratisch, denn sie verschonte niemanden.
Nicht einmal die Reichen und Mächtigen. Rattenflöhe waren es, die den
Pesterreger während den großen Epidemien des Mittelalters übertrugen. Ratten
kamen überall hin. Sie gehörten zur allgemeinen Kulisse, was sie quasi
unsichtbar machten. Aber nicht überall gab man sich zufrieden damit alles Gott
in die Schuhe schieben zu wollen. An den Universitäten gehörte das
Medizinstudium zum Standard. Neue Gedanken hielten Einzug in die Wissenschaft.
Doch so neu waren sie
gar nicht, auch wenn man vorsichtig sein musste, wollte man nicht in das
Blickfeld der Kirche geraten. Chirurgie, angewandt seit der Antike, fand ebenso
eine neue Bedeutung wie Leichensektionen. Man erhoffte sich Erkenntnisse über
das Wesen des Menschen und seine Funktionsweise. Einer ihrer Vorreiter war kein
geringerer als Leonardo da Vinci
(1452-1519). Seine anatomischen Studien des menschlichen Körpers waren
bahnbrechend. Detailgenaue Zeichnungen zeugten von seiner Fähigkeit die Dinge
genau beobachten und abbilden zu können sowie das Verständnis, welches er
diesem Wissen entgegenbrachte. In den folgenden Jahrhunderten nach ihm
gelangten die Menschen zu der Erkenntnis, dass man das bisherige Wissen in
Frage stellen musste, um neues zu erlangen. Legenden und Mythen sollten nicht
weiterhin fester Bestandteil der Medizin sein, sondern nur das, was in der
Realität nachweislich funktionierte.
Doch ähnlich den
vielen Quacksalbern des Mittelalters setzten sich viele andere Theoretiker,
zumindest eine Zeit lang, durch. Und das Spektrum wurde größer, denn durch den
engeren Kontakt, den man mit den Völkern überall auf der Welt hatte, kam man
natürlich auch an „neue“ alte Mittelchen heran. Popularität errungen
Magnetfeldtherapien oder die Theorie der „Erregbarkeit“. Eine genaue
Beobachtung und die Verwertung der Erkenntnisse haben schon so manchen Menschen
das Leben gerettet. Die Desinfektion von Händen und Arbeitsgeräten, heute der
Standard, war im 19. Jahrhundert ein absolutes Novum, mit dem Man sich viele
Feinde machen konnte. Dem damaligen Assistenzarzt Ignaz Semmelweis haben wir die desinfizierenden Maßnahmen vor einer
Behandlung zu verdanken, denn er war es, der sich mit seiner Erkenntnis
durchsetzen konnte. Sogar der Zufall trug, wie so oft, zu einer bahnbrechenden
Entdeckung bei: Penicillin!
Heutzutage gehen wir
von der Schulmedizin als alleinigen Problemlöser langsam wieder ab, denn der
Körper wird nicht mehr nur in Einzelteilen betrachtet. Immer mehr betrachtet
man diesen als ganzheitliches Objekt, also Körper und Geist, die in Einklang
gebracht werden müssen. Seelische Erkrankungen können körperliche Beschwerden
mit sich ziehen. Körperliche Erkrankungen können sich auf die Seele auswirken.
Allerdings existieren auch Schattenseiten. Übermäßiger Einsatz von Antibiotika
in Human- und Tiermedizin führten zur Immunisierung bestimmter
Krankheitserreger, die wir als „multiresistente Keime“ kennen. Also ein
kompletter Abkehr von der Schulmedizin und den modernen Arzneien? Wohl lieber
nicht. Stattdessen ist ein sorgsamer und verantwortungsvoller Umgang
angebracht. Daher bleibt es nur zu hoffen, dass unser Gesundheitssystem in
Zukunft wieder das Patientengespräch mit dem Arzt aufwertet und es angemessen
vergütet.
Und die Zukunft?
Viren als Krebskiller, nachwachsende Gliedmaßen, Nanomedikamente und ewiges
Leben? Vielleicht. Sicher ist jedoch, dass es spannend bleibt und auch die
Medizin von neuen Erkenntnissen, auch interdisziplinär, profitieren wird. In
der Zwischenzeit werden traditionelle Behandlung mit der Schulmedizin gekreuzt
und alternative Therapien getestet. Und da jeder Mensch anders ist, wird auch
die Behandlung noch individueller werden müssen.
Quelle und sehr zu empfehlen:
Zeitschrift Karfunkel Codex Nr. 11, 2013 - Von Aderlass bis Zipperlein