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Sagen tragen ein Körnchen Wahrheit in sich, heißt es allgemein. Doch wie
erkennt man dieses Körnchen? Vielleicht, indem wir den Suchradius ausdehnen und
ähnliche Geschichten zu Hilfe nehmen, denn kann es Zufall sein, dass zwei
identische Ereignisse sich an unterschiedlichen Orten ereigneten? Blicken wir
zunächst einmal nach Deventer in den heutigen Niederlanden, denn von diesem Ort
berichtet uns Thietmar in seiner Chronik.
Bischof
Balderich ließ im 10. Jahrhundert die zerstörte Kirche von Deventer neu
errichten und weihte sie auch persönlich ein. Die Kirche war altersschwach,
doch nach dem Neuaufbau übernahm sie ein, uns vom Namen her unbekannter,
Priester. Eines schönen Morgens sah der Priester, wie Menschen, die eigentlich
hätten Tod sein müssen, Opfergaben in der Kirche sowie dem Friedhof
niederlegten und dabei sangen. Er war so entsetzt darüber, dass er alles dem
Bischof berichtete. Dieser aber erteilte ihm die Weisung, er solle in der
Kirche nächtigen, um so dem Spuk ein Ende zu bereiten. Er tat wie ihm geheißen.
Die Toten aber warfen ihn samt seinem Bett aus der Kirche und setzten ihn vor
die Tür. Der Priester wusste nicht weiter und wandte sich abermals an den
Bischof. Dieses Mal empfahl man den Priester die Nacht im Schutz der
Heiligenreliquien zu verbringen und sich selbst zusätzlich mit Weihwasser zu
besprenkeln. Wieder einmal befolgte er den Befehl und verbrachte die Nacht in
der Kirche, wie es der Bischof wollte. Der Schutz des Kirchengebäudes sollte an
oberster Stelle stehen. Schlafen konnte der Priester nicht. Wieder kamen die
Toten. Dieses Mal jedoch nicht, um ihn hinauszuwerfen. Nein. Sie trugen ihn vor
den Altar und verbrannten den Armen Priester bei lebendigem Leib. Nur ein
Haufen Asche blieb von ihm zurück.
Thietmar
selbst blieben Erlebnisse mit lebenden Toten nicht erspart. So jedenfalls
schwor er in seiner Chronik. Eines Nachts waren Laute von Holzfällern zu hören
und auch Totengespräche soll er unfreiwillig belauscht haben. Woher er wusste,
dass es sich um Tote handelte? Weil nur der Tag den Lebenden gehört, jedoch
nicht die Nacht. Und eines Morgens, es war ein Freitag an einem 18. Dezember,
strahlte ein helles Licht von der Kirche her über den gesamten Hof. Macht es
den Chronisten somit zu einem guten Zeugen oder zum Wegbereiter für eine
Geschichte, die sich in Merseburg zugetragen haben soll?
Die
Totenandacht im Merseburger Dom
„In der heiligen
Osterzeit des Morgens früh, da es noch dunkelt, wackelt der alte Küster des
Domstifts mit seinem Laternchen über den Schloßhof, um zur Frühmette zu läuten.
Da, beim Eingang in die Kirche, huscht etwas an ihm vorüber; Er blickt auf und
sieht sich umgeben von schattenartigen Gestalten, unter denen er mehrere erst
jüngst begrabene Personen erkennt. Entsetzt läßt er sein Laternchen fallen und entwischt
zurück ins Kämmerlein. Beim Anbruch des Tages aber wird zum Bischof entboten,
der ihn hart anläßt, seiner Erzählung keinen Glauben beimißt und ihn mit
schwerer Strafe bedroht, wenn er je das läuten wieder verträumen sollte.“
Der
Küster tat natürlich, ebenso wie der Priester, wie ihm befohlen wurde. Trotz
seiner Angst, die ihn zu überwältigen drohte, betrat er den Dom. Von der Kanzel
her, blickte und zeigte auf ihn ein Skelett in Predigerkleidung. Die
gespenstische Gemeinde wandte sich dem Küster zu und dieser rannte um sein
Leben. Natürlich konnte er wieder nicht die Glocke läuten. Der Bischof schäumte
vor Wut und unter Androhung, dass ein weiteres Versäumnis den Küster seinen
Kopf kosten würde, sperrte man den Alten man samt Bett in der Kirche ein. Den
alten Küster sah man nie wieder, nur ein Häuflein Asche fand man vor dem
Hochaltar am nächsten Morgen.
Quellen:
Thietmar
von Merseburg: Chronik.
Saal,
Walter: Sagen der Region Merseburg.
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