Sonntag, 24. August 2014

75. Beitrag - Bischof Thietmar und die lebenden Toten

Alle Sagen tragen ein Körnchen Wahrheit in sich, heißt es allgemein. Doch wie erkennt man dieses Körnchen? Vielleicht, indem wir den Suchradius ausdehnen und ähnliche Geschichten zu Hilfe nehmen, denn kann es Zufall sein, dass zwei identische Ereignisse sich an unterschiedlichen Orten ereigneten? Blicken wir zunächst einmal nach Deventer in den heutigen Niederlanden, denn von diesem Ort berichtet uns Thietmar in seiner Chronik.

Bischof Balderich ließ im 10. Jahrhundert die zerstörte Kirche von Deventer neu errichten und weihte sie auch persönlich ein. Die Kirche war altersschwach, doch nach dem Neuaufbau übernahm sie ein, uns vom Namen her unbekannter, Priester. Eines schönen Morgens sah der Priester, wie Menschen, die eigentlich hätten Tod sein müssen, Opfergaben in der Kirche sowie dem Friedhof niederlegten und dabei sangen. Er war so entsetzt darüber, dass er alles dem Bischof berichtete. Dieser aber erteilte ihm die Weisung, er solle in der Kirche nächtigen, um so dem Spuk ein Ende zu bereiten. Er tat wie ihm geheißen. Die Toten aber warfen ihn samt seinem Bett aus der Kirche und setzten ihn vor die Tür. Der Priester wusste nicht weiter und wandte sich abermals an den Bischof. Dieses Mal empfahl man den Priester die Nacht im Schutz der Heiligenreliquien zu verbringen und sich selbst zusätzlich mit Weihwasser zu besprenkeln. Wieder einmal befolgte er den Befehl und verbrachte die Nacht in der Kirche, wie es der Bischof wollte. Der Schutz des Kirchengebäudes sollte an oberster Stelle stehen. Schlafen konnte der Priester nicht. Wieder kamen die Toten. Dieses Mal jedoch nicht, um ihn hinauszuwerfen. Nein. Sie trugen ihn vor den Altar und verbrannten den Armen Priester bei lebendigem Leib. Nur ein Haufen Asche blieb von ihm zurück.

Thietmar selbst blieben Erlebnisse mit lebenden Toten nicht erspart. So jedenfalls schwor er in seiner Chronik. Eines Nachts waren Laute von Holzfällern zu hören und auch Totengespräche soll er unfreiwillig belauscht haben. Woher er wusste, dass es sich um Tote handelte? Weil nur der Tag den Lebenden gehört, jedoch nicht die Nacht. Und eines Morgens, es war ein Freitag an einem 18. Dezember, strahlte ein helles Licht von der Kirche her über den gesamten Hof. Macht es den Chronisten somit zu einem guten Zeugen oder zum Wegbereiter für eine Geschichte, die sich in Merseburg zugetragen haben soll?

Die Totenandacht im Merseburger Dom

„In der heiligen Osterzeit des Morgens früh, da es noch dunkelt, wackelt der alte Küster des Domstifts mit seinem Laternchen über den Schloßhof, um zur Frühmette zu läuten. Da, beim Eingang in die Kirche, huscht etwas an ihm vorüber; Er blickt auf und sieht sich umgeben von schattenartigen Gestalten, unter denen er mehrere erst jüngst begrabene Personen erkennt. Entsetzt läßt er sein Laternchen fallen und entwischt zurück ins Kämmerlein. Beim Anbruch des Tages aber wird zum Bischof entboten, der ihn hart anläßt, seiner Erzählung keinen Glauben beimißt und ihn mit schwerer Strafe bedroht, wenn er je das läuten wieder verträumen sollte.“

Der Küster tat natürlich, ebenso wie der Priester, wie ihm befohlen wurde. Trotz seiner Angst, die ihn zu überwältigen drohte, betrat er den Dom. Von der Kanzel her, blickte und zeigte auf ihn ein Skelett in Predigerkleidung. Die gespenstische Gemeinde wandte sich dem Küster zu und dieser rannte um sein Leben. Natürlich konnte er wieder nicht die Glocke läuten. Der Bischof schäumte vor Wut und unter Androhung, dass ein weiteres Versäumnis den Küster seinen Kopf kosten würde, sperrte man den Alten man samt Bett in der Kirche ein. Den alten Küster sah man nie wieder, nur ein Häuflein Asche fand man vor dem Hochaltar am nächsten Morgen.

Quellen:

Thietmar von Merseburg: Chronik.

Saal, Walter: Sagen der Region Merseburg.  

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