Dienstag, 1. April 2014

54. Beitrag - Vergessene Berufe - Der Dulli-Bieger




Jede neue Zeit bringt andere Herausforderungen mit sich. Damit man besser auf diese vorbereitet ist, werden alte Berufe angepasst und neue gegründet. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kesselflicker. Dieser zog durch die Lande, reparierte Kochgeschirr und schärfte die Messer. Heutzutage wird einfach neu gekauft, was in Zeiten billiger Massenproduktion auch kein Thema mehr darstellt.

Von ähnlicher Präsenz war in der jüngeren Vergangenheit auch ein anderer Berufszweig. Gehen wir erstmal ein Stück zurück. Das Römische Reich war gewaltig, die Verwaltung recht gut organisiert. Mit der Schriftlichkeit ging es dann bis zum frühen und hohen Mittelalter etwas bergab. Die Geistlichkeit, allen voran die Mönche in den Klöstern konnten gut Lesen und Schreiben. Die ganzen Königreiche und andere Herrschaftsformen wurden aber immer komplexer, die Verwaltung und der Handel nahmen zu. Mit ihnen wuchs auch der Bedarf an schriftlichen Verträgen. Während man ursprünglich auf Papyrus schrieb, wurde es im Mittelalter durch Pergament verdrängt. Die Herstellung eines solchen Schriftstückes aus Tierhaut war kostspielig. Erst die Papiermühlen und das Druckverfahren mit beweglichen Lettern, verbesserter Tinte sowie die Druckpresse von Gutenberg revolutionierten das Schriftwesen ab der Mitte des 15. Jahrhunderts. Der Schriftverkehr wurde immer günstiger und die Bürokratie nahm Fahrt auf.

Immer neue Höhepunkte der Produktion wurden erreicht, bis der Erste und der Zweite Weltkrieg für größere Unterbrechungen sorgten. Zwar gab es weiterhin einen regen Gedankenaustausch, immerhin mussten Befehle übermittelt und die Wirtschaft einigermaßen am Laufen gehalten werden, doch was danach kam, übertraf die kühnsten Vorstellungen. Der Aufbau eines Staates bedeutete vor allem eines: Bürokratie. Und dieser Papierkram musste ja schließlich irgendwie geordnet werden. Gegen Ende der 1930er Jahre gab es einen ersten Durchbruch mit der Erfindung des „Aufreiher für Blattsammlungen, mit federndem Mittelteil“. Der Heftstreifen oder im Volksmund auch „Aktendulli“ genannt, war geboren. Auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik war dieser besonders beliebt, konnte man doch ohne weiteres große Mengen Papier nach Belieben zusammenfügen. Die Verantwortlichen der Verwaltung haben zwar mit einem hohen Bedarf an Dullis gerechnet, dabei aber nicht bedacht, dass es auch einen hohen Verschleiß gab.

Man wollte schnell und effizient die bereits benutzten und lädierten Dullis aufbereiten. Ein neuer Berufszweig war geboren: Der Dullibieger! Dieser zog anfangs der 1950er Jahre mit einem Werkzeugkoffer von Betrieb zu Betrieb und kümmerte sich in mühevoller Handarbeit um die beschädigten Arbeitsmaterialien. Der Bedarf an Fachleuten dieses Bereiches stieg kontinuierlich, weshalb man ab Mitte der 1970er Jahre feste „Kombinate zur Aufbereitung industriewichtiger Materialen“ (KAiM) einrichtete. Die Dullibieger hatten nun feste Arbeitsstätten mit industriellen Maschinen bekommen.

Arbeiter bei der Anlieferung einer neuen Maschine zum Biegen.
Damit einher ging allerdings auch der schleichende Verlust von Privilegien. Der Chauffeur fiel weg, ebenso die Sonderzulage an Westgeld, die Dienstwohnung sowie die freie Versorgung mit Lebensmitteln. Mit dem Fall der Mauer verschwand der Beruf dann vollends. Doch dieser Beruf ist noch nicht gänzlich vergessen, denn gerade junge experimentelle Archäologen und Historiker beschäftigen sich mit vergangenen Berufen. So habe auch ich meine Leidenschaft für diesen Berufszweig entdeckt.
Innere Ansicht einer KAiM.

Siehe auch:

http://de.wikipedia.org/wiki/Heftstreifen

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