Montag, 7. April 2014

55. Beitrag - Größenwahn im Mittelalter?

Das große Stichwort des Tages heißt Lokator. Mit diesem Begriff bezeichnet man eine Berufsgruppe, wie wir sie heutzutage nicht mehr kennen. Bei den Lokatoren handelte es sich um Siedlungsunternehmer. Es waren Mittelsmänner zwischen den Landesfürsten, die den Ausbau vorantreiben wollten und den Bauern, welche das Land besiedeln sollten.

Wichmann, Erzbischof von Magdeburg, war nicht der erste Landesfürst, der auf die Dienste eines Lokators zurückgriff. Dafür war er der Erste, der dies professionell und im großen Stil betrieb. Der Vorgang an und für sich ist recht einfach zu beschreiben. Man erwählte eine Person, die man für fähig erachtete und stattete diese mit Geld und Baumaterialien aus. Zunächst einmal zog der Lokator in ein Gebiet mit Überbevölkerung. Bauern, Handwerker und andere Freiwillige wurden angeheuert. Man versprach ihnen eigenes Land und Steuerfreiheit auf mehrere Jahre. Im Gegenzug musste das neue Gebiet urbar gemacht werden. Anschließend zog der Tross dorthin, wo der Auftraggeber ihn haben wollte. Dies konnte wilde Ländereien umfassen, aber auch bereits vorhandene, meist slavische, Siedlungen. Der Lokator selbst bekam als Belohnung Sonderrechte eingeräumt. Er wurde Dorfvorsteher und seinen Besitz erhielt er als Erbgut. Für die Fürsten, aus dessen Gebiete die Siedler stammten, ergaben sich ebenso Vorteile. Die Überbevölkerung wurde sanft verwischt. Man konnte Bündnisse stärken und Sonderrechte in den neu erschlossenen Gebieten erhalten.

Das Angebot, was die neuen Siedler östlich der Elbe erwartete, war extrem verlockend und sie kamen zahlreich. Zwar musste das Land erst urbar gemacht und bebaut werden, dennoch konnten die Bauern nun ihre Familien ernähren. Reisende Kaufleute erschlossen neue Absatzmärkte und auch Handwerker wurden benötigt.  Unter ihnen waren Flandern, Schwaben, Franken, Westfalen und Niederländer. Die Siedler brachten ihre Bräuche und Fähigkeiten mit. Zudem ist es uns heute noch gut möglich, auch ohne Urkundengrundlage, die Herkunft einzelner Gruppen festzustellen. Man muss nur wissen worauf es ankommt. Sicherlich kennen Sie Orte die auf -hain, -rode, oder -wald enden. Diese sind aus Rodungsgebieten entstanden. Ebenso vertraut sind Ortschaften mit einem -dorf am Ende, wie Günthersdorf oder Witzschersdorf. Diese stammen von einer Namensableitung, also dem Dorf des Gunther oder dem Dorf des Wigbert. Doch solch einfache Erklärungen sind mit Vorsicht zu genießen, denn dort wo uns eine schriftliche Grundlage fehlt, muss man den ursprünglichen Namen erraten. Und dieser könnte ganz anders gelautet haben.

Der Vorteil, den Erzbischof Wichmann besaß war ein ganz erheblicher, denn sein Erzbistum grenzte an nahezu unerschlossenes Land. Indem er neue Siedlungen initiierte, konnte er das geltende Magdeburger Recht in die neuen Gebiete bringen. Dabei handelte es sich aber keineswegs um ein standardisiertes und niedergeschriebenes Regelwerk, sondern vielmehr um die geltenden Rechte in Magdeburg selbst. Im Fall einer Streitigkeit konnte dann auf dieses Recht verwiesen werden, um eine Verhandlung schnell durchzuführen. Gewissermaßen machte das die neuen Siedler abhängig von dem Erzbischof, denn immer wenn eine Besonderheit auftrat, schickte man Boten nach Magdeburg, um diese abzuklären, damit ein Urteil gefällt werden konnte. Das Recht entwickelte sich auf diesem Weg weiter und wurde komplexer. Anhand der erhaltenen Urkunden kann man die Strahlkraft Magdeburgs und ihrer Herrscher noch heute erkennen. Ebenso die Taten der Landesfürsten und der Menschen, die die neuen Gebiete erschlossen.

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